v.l.n.r. Astrid Mehmel, Leiterin der Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum der Bundesstadt Bonn, Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauerverbands, Marion Danneboom, Raiffeisen-Stiftung, Elke Melzer, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin von Bad Godesberg, Andreas Hermes, Dr. Holger Martens, Historiker-Genossenschaft eG
v.l.n.r. Astrid Mehmel, Leiterin der Gedenkstätte und NS-Dokumentationszentrum der Bundesstadt Bonn, Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauerverbands, Marion Danneboom, Raiffeisen-Stiftung, Elke Melzer, stellvertretende Bezirksbürgermeisterin von Bad Godesberg, Andreas Hermes, Dr. Holger Martens, Historiker-Genossenschaft eG
Am 17. November 2023 wurde in der Uhlandstraße 16, Bad Godesberg, für den Genossenschaftler, Agrarpolitiker und CDU-Gründer Dr. Andreas Hermes ein Stolperstein verlegt. Zu den etwa 50 Teilnehmern, darunter Familienangehörige sowie Vertreter des Bauernverbands und des Genossenschaftswesens, sprachen für die Familie der Enkel Andreas Hermes, für die Stadt Bonn Frau Mehmel und für den Bauerverband Herr Krüsken. Von der Historiker-Genossenschaft eG, die den Stein initiiert und finanziert, stellte Dr. Holger Martens den Lebenslauf vor. Im Bild zur Linken sehen sie die Reihe der Redner und Rednerinnen sowie Marion Danneboom von der Raiffeisen-Stiftung und die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin von Bad Godesberg Elke Melzer. Der Beitrag zur Einladung zu dieser Veranstaltung auf unserer Webseite ist hier: Einladung zur Stolpersteinverlegung.
Im folgenden können sie die Rede von Dr. Holger Martens nachlesen mit ausführlicher Darstellung des Lebenslaufs und dem Schaffen von Dr. Andreas Hermes:


Liebe Familie Hermes, liebe Frau Mehmel, lieber Herr Krüsken, liebe Gäste ich freue mich sehr, dass sie heute gekommen sind, um an der Stolpersteinverlegung für den früheren Reichsminister Dr. Andreas Hermes teilzunehmen.
Stolpersteine sind heute fester Bestandteil der Erinnerungskultur in Deutschland. Es gibt örtliche Initiativen, die sich um die Erstellung von Biografien und die Verlegung von Stolpersteinen kümmern. In Schülerprojekten wird über die Verfolgten geforscht. Ausstellungen und Internetportale informieren über die Lebensläufe der Opfer. Das Kunstprojekt von Gunter Demnig hat es geschafft, dass sich zahlreiche Bürger und Bürgerinnen mit dem Schicksal der verfolgten Menschen auseinandersetzen und somit der wahre Charakter der NS-Herrschaft als eine menschenverachtende Diktatur immer wieder erkennbar wird und nicht in Vergessenheit gerät.
Ich begrüße es sehr, dass inzwischen auch Verfolgte, die die NS-Zeit überlebt haben, einen Stolperstein bekommen können.
Die Historikergenossenschaft beschäftigt sich intensiv mit der Genossenschaftsgeschichte und wir möchten mit dieser Aktion an Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Erst vor wenigen Tagen ist an die jüdischen Opfer des Pogroms am 9. November 1938 erinnert worden und ich möchte auch daran erinnern, dass drei Tage später, am 12. November 1938 die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben erlassen wurde. In dieser Verordnung wurde ausdrücklich erwähnt dass Juden nicht Mitglied einer Genossenschaft sein können. Ihre Mitgliedschaft endete zum 31. Dezember 1938, ohne dass es einer Kündigung bedurfte. Das ist sicher der Tiefpunkt der deutschen Genossenschaftsgeschichte. Für die verbliebenen jüdischen Mitglieder von Kreditgenossenschaften bedeutete das den Verlust der Bankverbindung, Mitglieder von Wohnungsbaugenossenschaften mussten ihre Genossenschaftswohnung räumen. Ja, es ist richtig, auch viele Genossenschaftler sind zu den Nationalsozialisten gegangen, manche waren nicht nur Mitläufer, sondern sogar von der NS-Ideologie überzeugt, und viel zu viele haben weggeschaut, wenn andere drangsaliert, gedemütigt oder oder gar ermordet wurden. Aber es hat auch diejenigen gegeben, die nicht mit den Nazis paktiert haben, die nicht ihre Überzeugung über Bord geworfen haben, sondern die Gefahr, die von den Nationalsozialisten ausging, klar erkannt und gewarnt haben. Und auch das muss man heute leider sagen, viele Jahre stand das Erinnern an die Opfer im Mittelpunkt, heute müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass Antisemitismus um sich greift, das Fake News in die Welt gesetzt werden, um andere zu diskreditieren, dass Verschwörungstheorien verbreitet werden, die dazu dienen unsere Demokratie und unser politisches System zu untergraben. Mit der bewussten Verwendung von Worten die bereits die Nazis benutzen wie „Systempartei“ und „Lügenpresse“ machen Demagogen am rechten Rand Stimmung. Stolpersteine erinnern nicht nur an die Opfer, sondern sie führen uns auch in aller Deutlichkeit vor Augen, wohin Gleichgültigkeit und Desinteresse führen kann und wie wichtig das Eintreten für unsere Demokratie ist.
Andreas Hermes war jemand, der die Gefahr erkannte, die von den Nationalsozialisten ausgingen. Er war jemand der sich gegen die Nationalsozialisten zur Wehr setzte und er musste erfahren, was es bedeutet, wenn man mit Hetze und falschen Anschuldigungen diskreditiert wird.
Andreas Hermes wird 16. Juli 1878 in Köln geboren worden. Er wächst in Mönchengladbach als jüngstes von drei Kindern in einfachen Verhältnissen eines katholischen Elternhauses auf. Im Alter von acht Jahren verliert Andreas Hermes seinen Vater. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation kann der begabte Schüler die Realschule und die Oberrealschule besuchen. Sein Interesse gilt der Landwirtschaft, 1896 beginnt der eine landwirtschaftliche Ausbildung, es folgt der Besuch der landwirtschaftlichen Akademie in Bonn und schließlich 1905 die Promotion an der Universität Jena mit einer Dissertation über Strukturprobleme der französischen Landwirtschaft.
Schon das Thema seiner Doktorarbeit zeigt seine internationale Ausrichtung und sein Interesse an grundlegenden Fragen der Landwirtschaft. Andreas Hermes beginnt seine berufliche Laufbahn bei der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft in Berlin. 1911 wird er Direktor am Internationalen Agrarinstitut in Rom. Nach dem Ersten Weltkrieg wird er 1919 Abteilungsleiter in dem neu geschaffenen Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft. In dieser Zeit wird Hermes Mitglied der katholischen Zentrumspartei. Die an der Regierung beteiligte Zentrumspartei beruft Andreas Hermes im März 1920 an die Spitze des neu gegründeten Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Er leitet das Ministerium bis 1922 und es gleichzeitig von 1921 bis Anfang 1923 zuständig für das Reichsministerium der Finanzen. Er gehört von 1924-1928 dem preußischen Landtag an und ist ab 1928 Reichstagsabgeordneter. Es ist einer der führenden deutschen Agrarpolitiker und wird Präsident der Vereinigung der deutschen christlichen Bauernvereine. Nach einem Fusionsprozess unter den landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbänden wird 1930 der Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen e.V gegründet, ihm gehören 36.339 landwirtschaftliche Genossenschaften mit rund 4 Millionen Mitgliedern an. An die Spitze des Verbands wird Andreas Hermes gewählt. Bei der Vorstandswahl am 26. Januar 1933 wird er als Präsident des Reichsverbands bestätigt. Andreas Hermes lehnt den Nationalsozialismus ab und glaubt daran, dass es sich bei der Massenmobilisierung durch Hitler um eine vorübergehende Erscheinung handelt. Nach der Machtübernahme setzen die Nationalsozialisten eine Diffamierungkampagne ins Werk, die darauf abzielt, prominente Personen aus Politik und Gesellschaft, die als Hitler-Gegner bekannt sind, auszuschalten. Land auf Land ab werden unbegründete Untreue- und Korruptionsvorwürfe erhoben, um Andersdenkende aus ihren Ämtern zu drängen. Von dieser Kampagne ist auch Andreas Hermes betroffen. Inzwischen hatte er erkannt, dass eine Fortführung der politischen Arbeit unmöglich ist, so legt er aus Protest gegen die Nationalsozialisten sein Reichstagsmandat am 17. März 1933 nieder. Damit entzieht er sich möglicherweise auch bewusst der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz am 23. März 1933. Tatsächlich werden im Vorfeld der Reichstagsabstimmung über alle Parteien hinweg exponierte Gegner des NS-Regimes verhaftet, um sie an einer Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes zu hindern und um die übrigen Abgeordneten einzuschüchtern. Vier Tage nach der Niederlegung seines Reichstagsmandats aber noch vor der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz wird Andreas Hermes am 21. März 1933 unter dem Vorwurf der Untreue verhaftet und erst nach fünf Monaten wieder entlassen. In einem politisch motivierten Prozess wird er zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Wesentliche Vorwürfe entbehrten dabei jedoch jeder Grundlage. Aus dem Gefängnis heraus erklärt Andreas Hermes seinen Rücktritt als Raiffeisen-Präsident.
Da er im NS-Staat beruflich keine Möglichkeiten mehr hat, geht er 1936 als Wirtschaftsberater der kolumbianischen Regierung nach Bogotá und verbreitet dort u.a. den Genossenschaftsgedanken. Im Sommer 1939 will er seine Familie nach Kolumbien holen, doch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ist eine Ausreise nicht mehr möglich. Anfang der 1940er kommt er in Kontakt mit Widerstandsaktivisten und unterhält Verbindung zu Karl Friedrich Goerdeler und dem Kreisauer Kreis. Als nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 den Nazis eine Ministerliste von Goerdeler in die Hände fällt, auf der Andreas Hermes als möglicher Landwirtschaftsminister genannt wird, erfolgt seine Verhaftung am 22. Juli 1944. In dem Prozess gegen Mitglieder des Kreisauer Kreises wird Andreas Hermes am 11. Januar 1945 zum Tode verurteilt. Während andere kurz darauf hingerichtet werden, gelingt es der Ehefrau vermutlich mit Unterstützung von Beamten im Reichsjustizministerium die Vollstreckung hinauszuzögern. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin wird Andreas Hermes am 24 April 1945 befreit.
Zwei Wochen später wird Andreas Hermes von der sowjetischen Besatzungsmacht mit der Leitung der Ernährungsverwaltung in Berlin betraut und zu einen stellvertretenden Oberbürgermeister gemacht. Er glaubt an einen demokratischen Neuaufbau und engagiert sich für die Gründung einer christlichen Volkspartei. Hermes bleibt seinen Prinzipien treu und übt unter anderem Kritik an der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone. Im Dezember 1945 erzwingen die sowjetischen Behörden seinen Ausschluss aus dem Parteivorstand der Ost-CDU. Andreas Hermes übersiedelt nach Bad Godesberg und wird Mitglied der West-CDU. Er engagiert sich beim Aufbau einer zonenübergreifenden Bauernorganisation und bei der Wiedergründung des Raiffeisenverbandes. Als CDU-Abgeordneter im Wirtschaftsrat des vereinigten Wirtschaftsgebiet in Frankfurt am Main leitet er dessen Ausschuss für Ernährung und Wirtschaft. Von 1946-1954 fungierte er zunächst als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Bauernverbände und dann als Präsident des Deutschen Bauernverbandes. Anschließend ist er bis 1958 Präsident des Verbands der europäischen Landwirtschaft. Von 1948-1961 steht er an der Spitze des wieder gegründeten Deutschen Raiffeisenverbands. Er hat damit als herausragender Agrarexperte den demokratischen Wiederaufbau der wichtigsten Organisationen im Bereich der Landwirtschaft gestaltet. Am 4. Januar 1964 stirbt Andreas Hermes im Alter von 85 Jahren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Dr. Holger Martens, Historiker-Genossenschaft eG, Nov. 2023

Rede Stolperstein Andreas Hermes (PDF)

Stolperstein für Dr. Andreas Hermes

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